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9 Archivale des Monats

Kommunale Armenfürsorge nach dem Zweiten Weltkrieg

„Unterzeichnete sind Flüchtlinge aus Schlesien und dort haben uns die Polen unser ganzes Hab u. Gut geraubt und geplündert, auch unsere Wertsachen, Uhren und unser ganzes Barvermögen haben sie uns gewaltsam entrissen, sodaß wir jetzt völlig verarmt und mittellos unser weiteres Dasein fristen müssen.“

Die Probleme des täglichen Überlebens gehörten zu einer prägenden und kollektiven Grunderfahrung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die größten Herausforderungen waren die Ernährungskrise, die Wohnungsnot sowie Mangel an Kleidung, Kohle, Wasser und Elektrizität und andere Entbehrungen. Die Not war so groß, dass Kommunen und Länder ohne die Hilfe von Nichtregierungsorgansiationen das Leid nicht auch nur annähernd hätten lindern können. An inländischen Initiativen, die sich dem Kampf gegen Hunger, Armut und Elend verschrieben hatten, kann exemplarisch die Caritas und die Arbeiterwohlfahrt genannt werden. Von den ausländischen Hilfsorganisationen ist CARE bis heute die bekannteste. Die private amerikanische Nichtregierungsorganisation schickte in der Nachkriegszeit ca. zehn Millionen CARE-Pakete nach Deutschland.

In Laatzen wurde die kommunale Armenfürsorge nach dem Zweiten Weltkrieg – soweit aus den Quellen ersichtlich – im Wesentlichen von zwei Säulen getragen. Der Unterstützung durch das Wohlfahrtsamt der Kreisverwaltung Hannover-Land und durch die freien Wohlfahrtsverbände. Erstere lässt sich im Stadtarchiv Laatzen durch 13 „Fallakten der allgemeinen Fürsorge“ nachvollziehen. Die Bedürftigen mussten einen Antrag auf Wohlfahrtsunterstützung stellen. In dem Antrag musste neben persönlichen Daten detailliert Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben werden. In einem nächsten Schritt folgte die Begutachtung des Antrags durch die Gemeinde Laatzen, wobei die Notlage des Antragstellers ausführlich zu begründen war. So hieß es beispielsweise zu einem Antrag von Cäcilie K.: „Die Notlage der Antragstellerin wird anerkannt, der Antrag befürwortet. Wegen ihres kranken Kleinkindes, das besonderer Pflege bedarf, kann Frau K. einem Erwerb nicht nachgehen. Auch die Mutter der Frau K. kann die Pflege nach Angabe der Antragstellerin nicht übernehmen, da sie selbst krank ist und der Pflege bedarf.“ Anschließend wurde der Antrag samt Begutachtung dem Wohlfahrtsamt der Kreisverwaltung Hannover-Land zur Entscheidung vorgelegt. In der Regel folgte das Wohlfahrtsamt dem Vorschlag der Gemeinde und gewährte entsprechend finanzielle Zuschüsse oder lehnte sie ab.

Die zweite Säule der Armenfürsorge waren die Dienste und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, wozu unter anderem das Rote Kreuz und die Arbeiterwohlfahrt gehörten. In enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde Laatzen organisierten sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Ortsausschuss für Wohlfahrtspflege. In einem Aufruf des Ortsausschusses, der sich im Auftrag des Gemeindedirektors August Steppat an die Bevölkerung wandte, hieß es: „Die grösste Not der Flüchtlinge und heimgekehrten Soldaten aus den Ostgebieten liegt nicht im Geldmangel, sondern im Fehlen auch der notwendigsten Kleider und Wäschestücke.“ Zwar habe der Ortsausschuss für Wohlfahrtspflege in den letzten Wochen aus den Ergebnissen der Sammlungen schon viel helfen können, doch jetzt sei nichts mehr vorhanden. Da die Not aber nach wie vor „riesengross“ sei, helfe nur eines: „Selbsthilfe in der Gemeinde!“ Der Bitte um eine Kleidungsspende folgte ein flammender Appell: „Wir wollen beweisen, dass das deutsche Volk wohl arm, aber nicht herzlos geworden ist!“

Der Schwerpunkt der Armenfürsorge in Laatzen war – darauf zumindest deuten die Quellen hin – die Versorgung der Bedürftigen mit Kleidung. Bei den meisten Armen handelte es sich offensichtlich um Flüchtlinge aus dem Osten. Im Stadtarchiv Laatzen ist eine umfangreiche Akte mit dem Titel „Allgemeine Wohlfahrtspflege 1945-1946“ archiviert, die einen Einblick in das Leid der Menschen nach Kriegsende gibt. Das eingangs aufgeführte Zitat ist nur einem von mehreren hundert überlieferten Briefen entnommen, die an die freien Wohlfahrtsverbände bzw. den Ortsausschuss für Wohlfahrtspflege adressiert waren. Bei dem zitierten Antragsteller handelte es sich um den 74jährigen Flüchtling E. K. aus Schlesien, den „das grenzenlose durchlebte Elend […] vollständig arbeitsunfähig gemacht [hat]“. Der Flüchtling E. K. und seine Frau erhielten eine Kleiderspende, sodass vermutlich die „grenzenlose Not“ wie erhofft zumindest etwas gemildert werden konnte.